Niels und der Feuerdrache
Der Herbst war gekommen - und viele bunte Papierdrachen flogen an langen Leinen hoch am Himmel, um im Wind zu tanzen. "So einen Drachen möchte ich auch haben!" rief Niels ganz aufgeregt, und sein Vater versprach ihm, einen zu basteln.
Schon am Nachmittag hatten Zeit dafür. Sie kauften Leisten, Papier, Bindfaden und Kleber und machten sich an die Arbeit. Niels half mit und malte dem Drachen schließlich, als alles fertig geklebt und gebunden war, ein großes freundliches Gesicht. Nun wollte er auch gleich ausprobieren, ob der Drachen so gut fliegen konnte wie er aussah und machte sich auf den Weg zum Teufelsberg, der ein guter Platz zum Drachen steigen lassen ist. Tatsächlich stieg er gut in die Höhe und bleib auch oben! Lustig tanzte er im Wind hin und her. Das freundliche Gesicht war unten gut zu sehen.
Niels strahlte vor Freude ... bis ein anderer Junge kam, der auch einen Drachen hatte. Der war zwar nicht so schön und freundlich wie Niels Drachen, aber ein ganzes Stück größer! Der Junge war richtig frech und rief sofort: "Ätsch, mein Drachen ist viel größer als deiner - was willst Du eigentlich mit so einem Babydrachen?" Und er hörte auch nicht mehr auf, Niels zu ärgern.
Niels, der sich eigentlich sehr über seinen Drachen gefreut hatte, wurde traurig und wickelte die Schnur wieder auf. Nun hatte er keine Lust mehr, den Drachen steigen zu lassen. Der andere Junge blieb jedoch noch dort und rief ihm noch lange freche Worte hinterher.
Traurig kam Niels der Wohnung an. "Na, ist der Drachen nicht geflogen," fragte ihn sein Vater, "oder warum bist Du so traurig?" Niels erzählte alles, was passiert war. Schließlich bat er seinen Vater: "Lass uns auch einen ganz großen Drachen bauen!" "Na gut", sprach sein Vater, "ich habe noch einige große Leisten im Keller, Du musst jedoch noch schnell in den kleinen Laden gehen und einige Bogen Drachenpapier holen".
Niels ging sofort los und kam schon bald mit dem Papier zurück.
Nach dem Kaffee machten sie sich an die Arbeit und bauten einen wunderschönen großen Drachen. Zum Schluss malte Niels ihm ein freundliches Gesicht - auch dieser Drache sollte gut aussehen!
Die Farbe war knapp trocken, da stiefelte Niels wieder auf den Teufelsberg zu einem Probeflug. Auch dieser Drache stieg tadellos in die Höhe und spiele mit dem Wind. Selbst als die Schnur ganz abgewickelt war, konnte man das Gesicht noch wunderbar erkennen. Wie gut, dass sie einen größeren Drachen gebaut hatten! Niels freute sich wie fast noch nie ... doch nicht lange, denn der freche Junge kam schon wieder, und auch er hatte einen größeren Drachen gebaut. Schon von weitem rief er: "Da bist Du ja wieder mit deinem Babydrachen! Mein Drache ist viel größer als deiner!"
Niels machte es keinen Spaß mehr, den Drachen steigen zu lassen. Der andere Junge hätte doch wohl auch woanders hingehen können!
Als der Junge keine Anstalten machte, mit dem Ärgern aufzuhören, rollte Niels die Schnur ein und holte seinen Drachen wieder auf die Erde zurück. Er wollte nach hause und wollte einen noch größeren Drachen bauen, um es dem anderen Jungen mal so richtig zu zeigen. Am liebsten hätte er sofort mit dem Bau begonnen. "Papi, Papi, da war wieder dieser freche Junge und hat gesagt, mein Drachen sei ein Babydrachen, und tatsächlich, er hat einen Drachen, der viel größer ist. Kannst Du bitte mit mir auch einen ganz großen Drachen bauen?"
Doch Niels Vater war damit nicht einverstanden. "Es kommt gar nicht darauf an, wer den größten Drachen hat," sprach er, "und ich glaube, dass dein Drache einer der schönsten ist! Einen noch größeren Drachen sollten wir nicht bauen, wo sollten wir den auch abstellen, unsere Wohnung ist so schon klein genug. ... ach übrigens - es ist schon spät. Wir wollen Abendbrot essen und dann ist Bettzeit".
Die Gutenachtgeschichte machte an diesem Abend gar keinen Spaß. Niels dachte die ganze Zeit daran, wie er wohl einen größeren Drachen bauen könnte. Als sein Vater das Licht ausmachte, die Tür aber noch etwas offen stand, so fiel das Flurlicht ein klein wenig ins Zimmer - und leuchtete genau auf das Sparschwein, das auf seinem Nachttisch stand. ... und da hatte er eine Idee. Gleich nach dem Aufstehen am nächsten Morgen untersuchte er den Inhalt des Sparschweins. Wie gut, dass es unten eine kleine Klappe hatte, die man mit einem Schlüssel öffnen konnte. So brauchte er es nicht kaputtzumachen. Endlich hielt er das Geld in den Händen. Es war eine ganze Menge: ein Zwanziger-Schein, zwei Zehner-Scheine, 3 Fünfmarkstücke, 8 Markstücke und etliche Groschen und Pfennige. Das sollte doch wohl für einen sehr sehr großen Drachen reichen?
Für alle sein Geld kaufte er Papier, Leisten, Bindfaden und Kleber. War ganz schön schwierig, alles heil nach hause zu bekommen!
Sein Vater war unterwegs, so hatte er die Garage für sich. "Wenn der Papi mir nicht hilft, baue ich mir den Drachen eben alleine," sagte er mehr zu sich selbst. Er hatte sehr gut aufgepasst - und so ging ihm die Arbeit gut von der Hand. Alles wurde sorgfältig geklebt und gebunden - fertig!
Nein halt, noch ein Gesicht! Eigentlich sollte auch dieser Drache ein freundliches Gesicht bekommen, doch dann entschied Niels sich doch anders: Dieser Drache erhielt kein freundliches Gesicht, sondern eine hässliche Fratze, die schon fast ein wenig Angst machte! Nun sollte der freche Junge sich mal erschrecken!
Niels packte die übriggebliebenen Materialreste zusammen - sein Vater sollte nicht gleich bemerken, was er hier so in der Garage gemacht hatte.
Dann knotete er die Schnur an den Drachen und machte sich auf den Weg zum Teufelsberg. Es war ganz schön schwierig, mit so einem großen Drachen auf den Berg zu kommen. Der Wind war auch viel stärker geworden und versuchte immer wieder, ihm den Drachen zu entreißen. Wollte der Wind diesen Drachen nicht? Gefiel ihm etwas die Fratze nicht?
Ganz erschöpft stand Niels nun doch endlich oben auf dem Teufelsberg. Noch konnte er es sich überlegen - doch da ergriff der Wind den riesigen Drachen und hob ihn so plötzlich hoch, dass Niels kaum mit dem Abrollen der Schnur hinterherkam. Als er sich trotzdem einmal umschaute, sah er, dass von dem frechen Jungen nichts zu sehen war. Schade, der hätte sich bestimmt erschreckt, wenn er die Fratze auf dem Drachen gesehen hätte! Niels verscheuchte die Gedanken. Er hatte jetzt anderes zu tun. Der Wind wurde stärker und stärker. Sollte er die Schnur lieber wieder einrollen? Aber er schaffte es nicht mehr. Eine schwarze Wolke nach der anderen zog am Himmel vorbei - der Drache tanzte wild auf und ab und hin und her. Länger konnte Niels die Schnur nun nicht mehr halten. Er rief um Hilfe, aber bei diesem schlechten Wetter war keiner unterwegs und so verhallten seine Rufe unbemerkt. "Ich muss etwas tun", dachte Niels, "sonst reißt der Drache sich los und ist weg - und mit ihm mein ganzes gespartes Geld!"
Der Drache zog immer heftiger an der Schnur. Wie lange konnte er diesem Ziehen noch standhalten. Wie lange würde die Schnur noch halten?
Als der Wind für ein paar kurze Momente etwas Ruhe gab, band der schnell das Ende der Schnur an seinen stabilen Ledergürtel. So hatte der Wind nun keine Chance mehr! ... oder doch? Er zog schon wieder viel stärker an der Schnur. Niels war froh, dass er nicht mehr mit der Hand festhalten musste, es war nicht nur windig, sondern auch kalt und er war froh, die Hände in die Jackentasche stecken zu können.
Er wollte noch etwas auf ein Nachlassen des Windes warten und dann die Schnur einrollen. Er musste auch so langsam nach Hause. Sein Vater hatte bestimmt schon Feierabend und würde auf ihn warten.
Doch der Wind dachte nicht daran, nachzulassen - im Gegenteil. Er wurde stärker und stärker - und auf einmal fühlte Niels sich ganz leicht. Er wurde von seinem Drachen in die Luft gezogen und flog nun an der Schnur hinter ihm her, der Drache leicht tänzelnd vorneweg!
Niels hatte Angst und traute sich kaum, hinunterzuschauen. Würde die Schnur das aushalten können? Sie flogen nun über die Stadt. Wenn er vorsichtig hinunterblickte, sah er Straßen und Häuser, die er kannte, aber nicht lange. Sie überflogen unbekannte Gegenden, später den Hafen - einen Fluss - dann ging es weiter über Felder und Flüsse, Wälder und kleine Dörfer. Fast vergaß er seine Angst. Doch dann flogen sie über das weite Meer - und er konnte doch nicht schwimmen! Ob es hier wohl Haie oder Kraken gab?
Das Wetter wurde etwas besser. Der Drache flog ganz ruhig, fast wie ein Flugzeug. Weil der Wind nicht mehr so stark war, flog der Drache auch nicht mehr so hoch. Niels konnte mit seinen Fußspitzen fast die Wellen berühren. Würde er nun doch ins Wasser fallen? Als er sich schon fast mit diesem Gedanken abgefunden hatte, sah er noch in einiger Entfernung Land. Würden sie es noch bis dahin schaffen? War das eine Insel oder Festland? Gab es von da einen Weg wieder nach Haus? Ein Telefon?
Mit dem letzten Windhauch erreichten sie das Land. Fast behutsam setzte der Drache ihn auf dem Strand ab. So, erstmal war er gerettet!
Er guckte sich um. Alles erschien ihm fremd. War auch kein Wunder, war er doch in Feuerland gelandet.
Und da begrüßte ihn auch schon ein Bewohner dieses Landes: Ein riesiger feuerspeiender Drache stand plötzlich vor ihm und -- spuckte Feuer! Niels bekam es mit der Angst zu tun und rannte fort, so schnell er konnte. Der Drache rannte nicht weniger schnell hinter ihm her. Schließlich konnte Niels sich in einer Felsenhöhle verstecken. Der Eingang war so eng, dass Niels sich zwar hineinzwängen, der Drache ihm jedoch nicht folgen konnte. Er versuchte noch eine ganze Weile, Niels zu erwischen, aber als er nichts erreichen konnte, wandte er sich doch wieder ab und ging fort.
Niels untersuchte die Höhle. War der Eingang noch sehr eng gewesen, so zeigte sich das Innere doch von erstaunlicher Größe. Schätze waren leider nicht versteckt, dafür fand er ein riesiges Ei. Sein Hunger ließ ihn an Essen denken, aber die Schale war so hart und dick, dass er es nicht öffnen konnte. "Am Strand werde ich bestimmt etwas finden," dachte er, "vielleicht ein paar Muscheln. Ich muss nur aufpassen, dass mich der feuerspuckende Drache nicht wieder erwischt."
Vorsichtig wagte er einen Blick aus der Höhle. Der Drache war verschwunden. Dafür war hinten am Horizont ein großes Schiff zu sehen. Das schien immer näher zu kommen. Niels kletterte vorsichtig aus der Höhle heraus. Vorher versteckte er das große Ei unter seiner Jacke. Als er am Strand angekommen war, begann er zu winken. Auf dem Schiff hatten sie ihn wohl gesehen, denn sie setzten ein kleines Beiboot aus, und das große Schiff ankerte. 5 Matrosen in gestreiften Hemden ruderten an Land und erkundigten sich, was los war. Sie brachten Niels an Bord des großen Schiffes. Dort musste er seine Geschichte nochmals erzählen. So richtig glaubte ihm der Kapitän das nicht, aber als er mit dem Fernglas den Strand absuchte und lauter feuerspuckende Drachen dort erblickte, wusste er, das Niels wohl doch ein besonderes Abenteuer erlebt hatte.
Sie nahmen ihn mit, nicht ohne vorher per Funk Bescheid gegeben zu haben. Dabei hörten sie auch, dass Niels schon gesucht wurde. Sie waren mehrere Tage unterwegs, bis sie endlich wieder den Hafen erreichten. Dort wartete Niels Vater schon aufgeregt auf ihn. Wie sehr hatte er ihn vermisst! Nochmals musste Niels die ganze Geschichte erzählen, aber dann ging es endlich nach Hause.
Dort feierten sie mit allen Freunden ein Fest! Niels erzählte wieder seine Geschichte - und allen musste er das riesige Ei zeigen!
Doch bald war die Geschichte vergessen, das Ei übrigens auch, das verstaute er unter seinem Bett. Und da lag es viele Tage...
und fast keiner dachte mehr daran. Zu Ostern holte er es noch einmal hervor und malte es bunt an für den Osterkorb, aber schon bald danach tat er es wieder unter das Bett. Und da lag es dann wieder viele Tage, ohne dass jemand daran dachte.
... bis eines Morgens - es war Sonntag und Niels lag noch etwas im Bett, obwohl er schon wach war...da tat sich etwas unter dem Bett! Es knackte und raschelte und knackte und ... Was konnte da passiert sein? Vorsichtig schaute Niels unters Bett, konnte aber zunächst nichts entdecken. War da doch nichts gewesen? Dann knackte es wieder. Niels suchte seine Taschenlampe, die schon wieder verkramt war. Endlich fand er sie . Angeschaltet und geleuchtet - Mist!!! Batterien alle! ... und er wusste immer noch nicht, was da unter seinem Bett los war. Sollte er seinen Vater holen? Quatsch! Er halte seine Schreibtischlampe. Und nun noch die Verlängerungsschnur, das sollte reichen. Im Moment war alles ruhig unter dem Bett, aber man kann ja nie wissen...
Der Strahl der Lampe fiel unter das Bett und erhellte die Unordnung erbarmungslos, die schon längere Zeit friedlich und geräuschlos unter dem Bett schlummerte: mehrere Socken (natürlich Einzelstücke) und keine Paare, verschiedene Spielsachen, Comic-Hefte einige Legoteile, die er schon länger gesucht hatte - und - Ihr glaubt es nicht - eine halbleere Kekspackung.
Das Ei war auch noch da, doch halt, es sah irgendwie verändert aus. Der Rand war merkwürdig gezackt. Wollte da gerade ein Riesenvogel ausschlüpfen? Da knackte es noch einmal - und das obere Stück der Eierschale brach völlig ab. Und mit kleinen lustigen Augen schaute jemand heraus, als wollte er sagen: "Hallo, hier bin ich!" Nein, es war kein Riesenvogel, der da eben ausgeschlüpft war, sondern ein richtiger kleiner Drache! Er trat ganz aus der Eierschale heraus und watschelte mit noch unsicheren Schritten genau auf Niels zu, der immer noch ganz erschrocken war von dem eben Gesehenen. Er rieb sich verwundert die Augen, aber es stimmte tatsächlich, er träumte nicht! Bald stand der kleine Drache vor ihm und züngelte eine kleine Flamme aus seinem kleinen Drachenmaul. "Das glaubt mir keiner!" stöhnte Niels und musste erst einmal verschnaufen. Dann rief er seinen Vater herbei, dem vor Schreck fast die Tabakspfeife aus dem Mund fiel, als er den kleinen Feuerdrachen sah. "Wo hast Du denn den her?" fragte er, als er sich einigermaßen gefasst hatte. Niels erzählte, was mit dem Ei passiert war, und sein Vater konnte sich von den Überresten der Schale überzeugen.
"Was frisst denn so ein Drache?" fragte Niels, denn sein neuer Freund war bestimmt hungrig. "Weiß ich auch nicht, vielleicht Kohlen," vermutete sein Vater. Sie versuchten es mit kleinen Kohlenstücken, die der Drache gerne annahm. "Tatsächlich, er ist ein Kohlenfresser!" schrie Niels ganz begeistert, "und was wird er trinken?"
"Ich vermute, genau so wie die anderen Tiere wird er Wasser bevorzugen," sagte sein Vater und brachte eine kleine flache Schüssel mit, die der Drache völlig austrank. Trinken konnte man eigentlich nicht sagen, denn er schlürfte schrecklich. Essen und Trinken musste ihn müde gemacht haben, denn er rülpste laut und legte sich dann auf ein großes Kissen, das auf dem Boden lag. Sein Schnarchen verriet, dass er zufrieden schlief - und das tat er bis zum Abend.
Dann war er wach und sehr unruhig, obwohl es doch nun für Niels Schlafenszeit war und auch sein Vater ins Bett wollte. Doch in dieser Nacht taten sie kein Auge zu und spielten stattdessen mit dem Feuerdrachen. Erst am Morgen konnten sie einschlafen, als sich auch der Drache auf sein Kissen legte und durch lautes Schnarchen zeigte, dass auch er durch die Toberei ganz schön müde war.
Natürlich verschliefen Niels und sein Vater. Der kam zu spät zur Arbeit und Niels zu spät in den Kindergarten. Alle Kinder lachten, als Niels erzählte, warum er zu spät gekommen war. Keiner wollte ihm glauben, dass er mit einem feuerspuckenden Drachen gespielt hatte. "Du hast vielleicht geträumt davon," sagte einer der Jungen, "feuerspuckende Drachen gibt es nicht, höchstens in Geschichten!"
"Ich werde euch schon zeigen, dass es diesen Drachen gibt," rief Niels und lud die Kindergruppe für den Nachmittag zu sich nach Hause ein. Sollten sie den echten Feuerdrachen doch einmal selbst ansehen!
Die Kinder wollte gern kommen und freuten sich schon die ganze Zeit darauf. "Heute Nachmittag werden wir dir zeigen, dass Du gelogen hast," riefen sie ihm zum Abschied hinterher. Sie dachten natürlich , sie würden keinen Feuerdrachen sehen.
Das taten sie auch nicht, als sie alle in die Wohnung traten. Es war kein Drache zu sehen! Sie suchten ihn überall, obwohl die Kinder immer wieder riefen: "Haben wir doch gleich gesagt, es gibt keinen Drachen, Du hast uns angeschwindelt!"
Sie suchten sogar unter dem Bett und in der Besenkammer, aber der Drache blieb verschwunden. "Aber ich habe einen Feuerdrachen!" sagte Niels ganz traurig. "Aus Gummi vielleicht oder zum Aufblasen," sagte darauf der freche Jürgen.
"Bei Euch ist es heiß in der Wohnung," meinte Nina, "habt Ihr etwa im Sommer geheizt?"
Sie fassten an die Heizkörper. Nein, alle waren eiskalt. "Ist vielleicht der alte Kohlenofen an?" wollten sie wissen. "Nein, den benutzen wir schon seit Jahren nicht mehr," entgegnete Niels, "wir haben jetzt Fernheizung."
"Trotzdem ist der Ofen heiß." Nina blieb beharrlich. "Langsam nervst Du", sagte Niels, "ich habe doch gesagt, dass wir mit dem Ofen nicht mehr heizen!" Doch als er ihn selbst anfasste, hätte er sich fast die Finger daran verbrannt. Das konnte doch nicht mit rechten Dingen zugehen! Nun mussten sie unbedingt untersuchen, was mit dem Ofen los war. Ganz vorsichtig öffnete Niels die große Kohlentür des Ofens. Und wer saß drinnen und blickte ihn mit listigen Augen an? Der Feuerdrache!
Ihm war wohl langweilig gewesen und er hatte die Kohlen gerochen, die sich noch im Ofen befanden. Dann musste er den Ofen irgendwie aufgemacht haben, um hineinzuklettern. Die Tür war leider hinter ihm zugefallen und hatte sich mit dem Eisenhaken verriegelt. So konnte er sich nicht mehr allein befreien. Er war bestimmt froh, dass die Kinder ihn aus dem Ofen heraushalfen!
Das gab natürlich in großes Hallo! So einen Drachen hatten sie noch nie gesehen. Hatten sie doch noch bis vor einigen Minuten gedacht, es gäbe keine Feuerdrachen! Alle wollten mit dem Drachen spielen. Die Kinder gaben keine Ruhe. Sie gingen erst wieder nach Hause, als Niels ihnen versprach, den Drachen am nächsten Tag mit in den Kindergarten zu bringen.
An diesem Abend waren nicht nur Niels und sein Vater müde, sondern auch der Drache. Von da an gewöhnte er sich daran, nachts zu schlafen. Von der Nachbarin bekamen sie ein Hundekörbchen, in dem der Drache schlief. Das Körbchen stand neben Niels Bett, so dass er immer gut auf seinen Freund aufpassen konnte. So blieb ihm auch nicht unbemerkt, dass der Drache fast jeden Tag ein kleines Stück größer wurde. Bald war er so groß gewachsen, dass er nicht mehr in das Hundekörbchen passte. Da bekam er ein Lager aus alten Matratzen. "Wenn er weiter so wächst," sagte sein Vater, "wird er eines Tages nicht mehr durch die Türen passen." Der Drache nickte dazu mit dem Kopf, als hätte er alles verstanden.
"Eines Tages ist er so groß, dass er nicht mehr in der Wohnung bleiben kann!" Niels wollte kaum glauben, was sein Vater ihm da zu erklären versuchte: "Die Wohnung ist viel zu klein für einen ausgewachsenen Drachen, wir müssen uns überlegen, wo er wohnen kann, und zwar recht bald, sonst passt er wirklich nicht mehr durch die Türen."
Am nächsten Tag spielte Niels wieder mit seinem Freund. Es war so schön wie immer. Sie tobten durch die ganze Wohnung!
Doch da blieb der Drache in der Wohnzimmertür stecken und konnte erst befreit werden, als sie mit vereinten Kräften schoben.
Da tropfte etwas auf den Boden. Der Drache hatte sich verletzt und blutete. "Du siehst selbst," sagte Niels Vater, "der Drache muss weg, sonst wird er sich noch schlimmer verletzen, und das willst Du doch nicht?" Natürlich wollte Niels das nicht, aber ein Leben ohne seinen Freund konnte er sich nicht vorstellten. Am nächsten Tag hatte sein Vater mit dem Zoo telefoniert. Die wollten den Drachen gern haben und wollten ihn in einem geräumigen Käfig unterbringen. "In einem Käfig?" fragte Niels, "der Drache ist doch nicht gefährlich!" "Es ist nun mal so, dass in einem Zoo alle Tiere in einem Gehege oder einem Käfig sind, das wird auch ihm nichts ausmachen," entgegnete sein Vater.
Für den folgenden Tag mieteten sie sich einen Lieferwagen, um den feuerspuckenden Drachen fortzubringen. Niels war ganz traurig. Es kam ihm fast wie Verrat vor, als er seinen Freund in den Lieferwagen lockte.
Die Fahrt zum Zoo verlief schweigsam und traurig. Der Drache war sehr unruhig hinten im Lieferwagen und freute sich, als sie endlich angekommen waren und er aussteigen durfte. Niels führte ihn durch den Zoo-Eingang. Es blieben viele Leute stehen, einen feuerspuckenden Drachen hatten sie schließlich noch nie gesehen. Aber es waren nicht alle freundlich zu dem Drachen. Einige besonders freche Jungs warfen sogar Steine und Stöcke nach ihm, machten Fratzen und johlten laut. Der Wärter des Elefantengeheges scheuchte sie erstmal fort.
Der Zoodirektor kam und zeigte ihnen den Käfig für den Feuerdrachen. Als der Drache im Käfig war und ein wenig aus der Waserschüssel trank, die für ihn bereit war, da machten sie schnell die Türe zu und gingen fort. Niels kullerten ein paar Tränen über das Gesicht. Seinen besten Freund hatte er gerade in den Zoo gebracht, aber wo sollte er auch sonst hin?
Sie fuhren zurück in die Wohnung. An diesem Abend hatte Niels keinen Hunger und auch keine Lust auf die Gutenachtgeschichte.
Stattdessen legte er sich auf sein Bett und schaute sich die vielen Fotos an, die er und sein Vater von dem Drachen gemacht hatten.
Dabei musste er immer wieder an seinen Freund denken.
Trotzdem schlief er auf seinem Bett ein, dabei war er noch nicht einmal ausgezogen.
Es war schon dunkel und schon spät am Abend, sein Vater lag auch schon im Bett, da klingelte das Telefon. Er wachte auf und hörte seinen Vater am Telefon reden: "Ja, ist schon in Ordnung, dann holen wir ihn wieder ab." Niels war auf einmal ganz wach. "Wen holen wir wieder ab, etwa den Drachen?" Schnell rannte er zu seinem Vater. Vor Aufregung konnte er kaum sprechen. "Wir haben nicht viel Zeit," sagte sein Vater, "der Drache hat die Stäbe seines Käfigs durchgebrannt. Wir müssen ihn noch einmal abholen, bis sie einen Käfig mit besonders feuerfesten Käfigstäben gebaut haben. Wie gut, dass wir den Lieferwagen noch nicht wieder zurückgeben mussten.
Sie setzen sich ins Auto und brausten los. Niels war froh, seinen Freund wiederzusehen. Er stieg sogar wieder in den Lieferwagen und kam mit ihnen nach Hause. "Du wirst dich nicht lange darüber freuen können, dass dein Freund wieder hier ist", sagte Niels Vater, "sobald der neue Käfig fertig ist, müssen wir ihn wieder hinbringen. Du weißt selbst, dass er hier nicht bleiben kann."
Schon am übernächsten Tag riefen die Leute vom Zoo an, denn der Käfig war schon fertig. Also machten sie sich noch einmal auf den Weg. Der Drache stieg nicht so gern wieder in den Lieferwagen ein. Als Niels Vater ihn drängte, fauchte er sogar und spuckte Feuer, so dass der Bart ein klein wenig anbrannte. "Dein Freund ist ja echt gefährlich, da braucht man ja einen Feuerlöscher!" rief er nicht gerade begeistert, "eigentlich wird der Bart mit der Schere geschnitten und nicht abgebrannt. Ich machs ja auch bald wieder, bin nur noch nicht dazu gekommen. ... muss ja auch so oft unterwegs sein und Drachen durch die Gegend fahren!"
Endlich waren alle im Lieferwagen und es ging los. Den Weg kannten sie ja nun. Sie durften direkt auf das Zoogelände fahren. Kaum dort angekommen, wurde der Drache immer unruhiger. Er fauchte und schnaubte und war kaum zu beruhigen. Als sie endlich vor dem neuen Käfig anhielten, konnten sie ihn nur mit Mühe aus dem Auto locken. Zusammen mit dem Wärter der Elefanten brachten sie den Drachen in den neuen Käfig und verschlossen die Tür. "Nun schnell los," sagte Niels Vater, "wenn wir den Lieferwagen nicht bald abgeben, müssen wir für noch einen Tag bezahlen!"
Sie stiegen ins Auto und fuhren los. Niels winkte seinem Freund zum Abschied, aber das hatte der bestimmt nicht mehr gesehen.
Diesmal waren sie länger unterwegs, denn sie mussten den Lieferwagen wieder abgeben. Sie waren zwar spät und der Vermieter hatte schon gewartet, aber sie mussten nichts extra bezahlen.
Schließlich saßen sie müde in ihrem eigenen Auto und fuhren nach hause. In der Nacht wurden sie schon wieder durch einen Telefonanruf gestört. Niels hörte seinen Vater nur sagen: "Ist ja schrecklich ... gut, dann müssen wir noch einmal kommen!"
Niels musste natürlich nicht mehr geweckt werden und das Anziehen ging auch blitzschnell. Im Auto erzählte sein Vater ihm, was der Anruf zu bedeuten hatte. Der Drache fühlte sich im Zoo nicht wohl. Als er die Gitterstäbe nicht wieder mit seinen Flammen zerstören konnte, wurde er traurig und weinte. Aber wenn ein Feuerdrache weint, gibt es viele riesige Tränen! Und er weinte... und weinte... und weinte... bis sein Käfig völlig überflutet war und das Wasser sogar schon in die andren Käfige floss.
"Der Drache kann im Zoo nicht bleiben", hatte der Zoodirektor gesagt. Also mussten sie ihn wieder abholen.
Bei der Autovermietung mussten sie über eine Stunde warten, bis endlich jemand aufmachte und ihnen einen Lieferwagen vermietete.
Dann ging es los. Der Drache schien sie schon erwartet zu haben, denn er watschelte sofort auf den Lieferwagen los und stieg hinein, als Niels die Tür öffnete. Bald darauf fuhren sie los, denn Niels Vater musste zur Arbeit. Richtig froh war Niels nicht, wusste er doch, dass es sich nur um einen kurzen Besuch seines Freundes handeln würde. Er konnte auf Dauer nicht bei ihnen in der Wohnung bleiben. Noch im Auto überlegten sie eine andere Lösung, aber ihnen fiel nichts ein.
"Dann werde ich mal heute Nachmittag den Opa fragen," dachte Niels, "denn der weiß ja oft einen Rat. Außerdem hat er viel Zeit, weil er Rentner ist."
Als Niels Vater am Nachmittag von der Arbeit zurück war und auf den Drachen aufpassen konnte, setzte Niels sich auf sein kleines Rad und fuhr den kurzen Weg bis zu seinem Opa. Als er klingelte, öffnete ihm die Oma. "Schön, dass Du kommst," sagte seine Oma, "Opa wird auch gleich kommen, der war noch unten am Boot und hat irgendetwas am Motor repariert."
Es dauerte nicht lange, bis der Opa kam. Man hörte es gleich, er ging - wie meistens - durch den Keller. Da hatte er eine Werkstatt und ein kleines Waschbecken, das er immer benutzte, wenn er besonders dreckige oder ölige Hände hatte. Denn oben durfte er nichts dreckig machen.
Endlich war er fertig und kam nach oben. Oma hatte Kaffee gemacht. Für Niels gab es Kekse und Apfelsaft. Der Opa freute sich, dass Niels da war und erzählte ihm, er hätte den Motor noch einmal durchgesehen. "Nun ist alles fertig," sagte er, "nun kann es auf große Fahrt gehen!" "Na, jetzt ist noch kein Sommer," entgegnete Oma, "lass und warten, bis es etwas noch etwas wärmer geworden ist."
"Große Fahrt?" fragte Niels, "wie weit kann denn dein Boot fahren?"
"Ach wenn es sein muss, bis Feuerland," sagte Niels Opa so zum Spaß. "Feuerland!!!" Das war das Stichwort! Erstmal fragte Niels, ob das Segelboot seines Opas wirklich bis Feuerland segeln konnte. "Habe ich zwar noch nicht gemacht, aber es geht bestimmt," antwortete der Opa.
Nun war Niels dran und erzählte die ganze Drachengeschichte. Anschließend beratschlagten sie, was sie tun konnten. "Keine Frage," sagte Niels Opa, "wir bringen den Drachen nach Feuerland, denn bei seinen Freunden und Kameraden ist er am besten aufgehoben!"
Nun musste noch die ganze Durchführung besprochen werden, und so saßen sie bis zum Abend. Sie saßen so lange, bis Niels Vater auch noch kam, denn so lange war Niels noch nie bei seinen Großeltern geblieben. Zuletzt holte der Opa seine Seekarten vom Dachboden und zeigt Ihnen, wie man nach Feuerland segeln musste: Es war ganz schön weit.
Trotzdem wollten sie das Abenteuer wagen. Sie konnten nicht sofort los, sondern mussten sich gut vorbereiten. Sie beluden das Boot mit Essen und Trinken, mit Kohlen und sonst allen Dingen, die für so eine lange Reise nötig sind. Dann wurde es Ernst!
Niels, sein Opa und der Drache starteten zum großen Abenteuer: Los ging es nach Feuerland!
Oma wollte nicht so gerne mitkommen auf so eine weite und gefährliche Reise, Niels Vater hatte keine Zeit, weil er Arbeiten musste. So waren der Drache und Niels und sein Opa allein unterwegs.
So segelten sie viele Tage. Dabei wechselten sich Niels und sein Opa am Steuer ab. Alle drei waren sehr vergnügt, denn sie hatten gutes Wetter und kamen schnell voran. Nach vielen Tagen sahen sie in der Ferne ein Land, das Niels schon einmal von oben gesehen hatte - als der mit seinem Drachen nach Feuerland geflogen kam. "Feuerland voraus!" rief er ganz aufgeregt, "ich erkenne es genau!"
Je näher sie dem Land kamen, desto mehr Einzelheiten konnten sie erkennen. Niels erkannte die Felsenhöhle, die ihm Schutz gegeben hatte ... und er erkannte, dass nicht nur ein Feuerdrache am Strand unterwegs war, sondern ganz viele. Sie schienen sich durch brüllende Laute zu verständigen - und als Niels Feuerdrache diese Laute hörte, wurde er ganz unruhig. Inzwischen war sie ganz dicht an das Ufer herangesegelt. "Näher geht es nicht," sagte Niels Opa und warf den Anker. Der Drache konnte es wohl nun nicht mehr abwarten. Er kletterte in eine gute Position und sprang dann mit einem lauten Klatscher ins Wasser und schwamm an Land.
"Ich wusste gar nicht, dass er schwimmen kann," rief Niels ganz erstaunt, "der ist ja schnell weg!"
Die anderen Drachen beschnupperten den Neuankömmling. Dann nahmen sie ihn in ihre Mitte und waren bald darauf verschwunden.
Niels und sein Opa ankerten noch eine Weile. Als sie gerade den Anker lichten wollten, kamen die Feuerdrachen noch einmal an den Strand.
Sie wackelten mit den Köpfen und den Schwanzspitzen, als wollten sie zum Abschied winken.
"Dann wird er sich hier richtig wohlfühlen," sagte Niels Opa, "Freunde hat er schon gefunden, hier ist es doch viel besser als im Zoo!"
Da musste Niels ihm zustimmen. Er war auch nur etwas traurig. Er freute sich schon auf die Rücktour und auf sein Zuhause.
© Anne-Mette Gerdsen 2001-2020